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Mitch Winehouse | Biografie
Der Vater von Amy Winehouse startet eigene Karriere und veröffentlicht ein Swing Album.
Das ist schon so eine Sache mit den Genen und dem geerbten Talent. All die Töchter und Söhne, die in die Fußstapfen berühmter Mütter oder Väter treten, haben es ja meist nicht einfach. Der umgekehrte Weg, dass ein Vater in die Fußstapfen seiner Tochter tritt, ist eher die Ausnahme und im Fall von Mitch Winehouse ein wahrer Glücksfall.
Klar hat Winehouse Senior in England für Schlagzeilen gesorgt, die bereits bis in den deutschen Boulevard vorgedrungen sind. „Natürlich wäre ich ohne Amy erst gar nicht in die Verlegenheit gekommen“, räumt Mitch mit einem breiten Lachen ein, das jedem Kritiker gleich mal den Wind aus den Segeln nimmt. „Aber als sich die Gelegenheit ergeben hat, habe ich sie auch ergriffen. Wer würde an meiner Stelle kein Album aufgenommen haben?“ Im stolzen Alter von 60 Jahren debütiert Mitch Winehouse also nun mit dem Album „Rush Of Love“, dessen Songauswahl für das tief fundierte Musikverständnis und den untadelig guten Geschmack seines Protagonisten spricht. Das sind nicht die üblichen Rat-‐Pack-‐Standards, sondern ein perfekter Reigen von Jazz, Swing und elegantem Crooning. Kurzum, die musikalische DNA der Familie Winehouse. Gesungen hat Mitch nämlich schon immer – nur noch nie zuvor in einem Studio. Da genügt ein Blick ins heute hippe Londoner East End, dorthin, wo Mitch Winehouse aufgewachsen ist.
„Meinem Vater gehörte ein Barbiershop auf der Commercial Street und meine Mutter hatte hinten drin ihren Friseurladen. Musik war allgegenwärtig, so lange ich zurückdenken kann. Jazz, Swing und viel Sinatra. Wenn es dann mal ruhig war, legten meine Tante und ich einfach eine flotte Sohle aufs Parkett. Wir wohnten alle über dem Laden, Tanten, Onkel, Großeltern und Urgroßeltern. Auf jeder Etage lief andere Musik. Und ständig wurde gesungen, sei es zusammen oder allein. Sicherlich waren das auch harte Zeiten. Die Wohnungen hatten Außentoiletten und Kinder bekamen noch Rachitis. Aber rückblickend sorgte die Musik für eine glückliche Zeit. Diese Lebensweise scheint mir der Vergangenheit anzugehören, aber die Erinnerung an die Musik und all die wunderbaren Menschen bleibt. Das ist es auch, was diese Songs ausmacht. Amy ist übrigens ganz ähnlich aufgewachsen, mit Tanten, Onkeln, Großeltern und Freunden um sie herum...und der ständigen Musik.“
Für „Rush Of Love“ hat sich Mitch alle Freiheiten genommen. Bei seiner ebenso experimentierfreudigen wie erlesenen Auswahl der Songs hat er auf die typischen Standard-‐Coverversionen à la „My Way“ verzichtet und ist in jene Musikform noch einmal richtig tief eingetaucht, die er in und auswendig kennt. Mit „Rush Of Love To The Heart“, „Tell Me“, „No More Broken Hearts“ und „Nights“ gibt es auch vier neue Kompositionen von Tony Hiller, der das gesamte Albumprojekt begleitete und auch die Produktion übernahm.
Selbstredend klingen die vier neuen Songs wie frisch polierte Jazzperlen. „Wenn ich Michael Bublé wäre, hätte ich den Druck, Songs zu singen, die man kennt, um die Plattenverkäufe anzukurbeln“, konstatiert Mitch süffisant. „Aber glücklicherweise lastet keinerlei Druck auf mir. Ich nehme mir die Freiheit, neue Songs zu singen und solche, die ich nicht in Vergessenheit geraten lassen will. Ältere Menschen werden diese Songs vielleicht kennen, die jüngeren können einige neue kennen lernen.“
So findet man auf „Rush Of Love“ Songs wie „Please Be Kind“, eine Komposition aus dem Jahr 1938, die Mildred Bailey sang und die später unter anderen von Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Frank Sinatra interpretiert wurde. Und während sich an „How Insensitive“, eine der Großtaten des Brasilianers Anton Carlos Jobim, von Judy Garland bis Iggy Pop schon die illustresten Stars versucht haben, ist „You Go To My Head“ eine wahre Delikatesse für Jazz-‐Aficionados. Die Jazzbegeisterung von Mitch Winehouse kennt wirklich kaum Grenzen: „‘Close Your Eyes‘ ist auch so ein großartiger Jazzsong, der zu den unbekannteren von Sinatra gehört. Stacey Kent hat ihn gesungen, aber sonst habe ich ihn von niemand anderem gehört. Dabei ist er so wunderschön. Mir hat das Album wirklich Spaß gemacht. Wir haben uns, unterstützt von einem Pianisten, an 40 Songs versucht, die wir mochten. Wenn ein Song nicht für uns funktionierte, machten wir einfach weiter, aber allein all diese Songs noch einmal durchlebt zu haben, war schon mehr als ein Erlebnis.“
Mit Tony Hiller zu arbeiten, war nicht nur deswegen etwas Besonderes, weil sich Mitch damit zu dem illustren Kreis von Stars wie Elton John und Matt Monro gesellt, die dessen Pop-‐ und Jazzklassiker wie „Save Your Kisses for Me“ interpretierten. Die beiden Familien Hiller und Winehouse sind seit Generationen miteinander befreundet. Tony und sein Bruder Irving wuchsen unter der Obhut von Mitchs Vater und Onkel auf, was im Londoner East End, wo sich damals noch jede Menge zwielichtige Gestalten herumtrieben, nicht schaden konnte. Beide Familien waren und sind musikalisch ähnlich stark geprägt. Mitch stellte Amy schon als kleines Kind mitten auf den Tisch, damit sie mit der Familie mitsingen konnte und überließ ihr schnell manche Songzeile. Amys Bruder Alex hat es inzwischen zum renommierten Gitarristen gebracht. Amys Mutter Janis allein hatte vier Onkel, die professionelle Musiker waren. Und Mitchs Mutter Cynthia hatte einen so eklektischen Musikgeschmack, dass sie bis zu ihrem Tod vor vier Jahren die ganze Familie mit neuer Musik versorgte.
„Rush Of Love“, Mitchs Entree in die Welt des Jazz, könnte vom Timing her kaum besser gewählt sein. In diesen Tagen feiern in seinem heimischen Viertel Shoreditch sogenannte Tea Dances ein richtiges Revival und cooler Swing steht bei Youngstern ganz hoch im Kurs. Mitch hatte sich bislang in anderen Berufen verdingt, bis ihn schließlich seine Tochter überzeugte, professionell zu singen. „Jeder liebt doch diese Musik, jung und alt“, sagt dieser Jazzfan mit dem Brustton der Überzeugung.
Mitch Winehouse, der rein äußerlich wie die englische Antwort auf Tony Soprano wirkt, macht als Sänger in jeglicher Hinsicht eine glänzende Figur. Smart, souverän und mit dem untrüglichen Gespür für den richtigen Swing.