HER & KINGS COUNTY | Biografie

  • Roachford

Raise A Little Hell

High Noon in Brooklyn. Der New Yorker Stadtteil weist zwar eine ausgeprägte Künstlerszene aus, aber ist nicht unbedingt eine Hochburg der Countrymusic. HER & Kings County bilden die rühmliche Ausnahme, sind gleichwohl alles andere als eine sich an alte Country-Traditionen klammernde Truppe. Dies ist White Trash. 

Ein höchst dynamisches Six Pack an Musikern, deren zündende Mixtur aus Bluegrass und Folk, HipHop und Southern Rock, Pop und jede Menge anderer Spielarten des Rock’n’Roll eine wahre Freude ist. Ihr explosives Stilgemisch haben sie City Country getauft – und ziehen seit nunmehr zehn Jahren mit ihren fulminanten Live-Shows durch die Lande. Pünktlich zur Veröffentlichung ihrer ersten großen Retrospektive „Raise A Little Hell“ kommen HER & Kings County Anfang 2015 auf große Clubtournee nach Deutschland. Eine seltene Gelegenheit, die man nicht verpassen sollte.

„Raise A Little Hell“ ist die ultimative Compilation von HER & Kings County (übrigens wird Brooklyn von Einheimischen als Kings County bezeichnet) – eine mehr als beeindruckende Rückschau auf die erste Schaffensdekade der im Jahr 2004 von Frontfrau HER, die eigentlich Monique Staffile heißt, und Bandleader Caleb Sherman (Gitarre, Banjo, Steel-Gitarre) gegründeten Band. Der Titelsong, die einzige Coverversion des Albums, stammt im Original aus dem 1973er Debütalbum der Ozark Mountain Dare Devils und hieß ursprünglich „If You Wanna Get To Heaven“. HER & Kings County haben sich diesen Southern-Rock-Klassiker einverleibt und ihn quasi zum Motto des Albums und ihrer anstehenden Tournee gemacht. Und da darf man durchaus hohe Erwartungen haben. Zumal HER & Kings County einen exzellenten Ruf als Live-Act genießen.

HER ist die geborene Leadsängerin. Mit ihrer kraftvollen Stimme kommt der blonde Wirbelwind manchmal daher wie eine rotzfreche Mischung aus der jungen Dolly Parton und einer ungeschminkten Lady Gaga. Sie ist nicht nur ein durch und durch attraktiver Blickfang, sondern ein gefährlich über die Bühne tigerndes Raubtier. Aber auch die Begleitband macht keine Gefangenen und gilt nicht umsonst „als eine der gefährlichsten Truppen der Country-Musik“. Warner Brothers Nashville, wo man zwischenzeitlich einen weltweiten Vertrag unterschrieb und HER als kommender Chartact gehypt wurde, machte einschlägige Erfahrungen. Die erste Promotiontour endete im Fiasko und man setzte die Band kehrtwendend auf den nächsten Flieger nach New York. Doch die Band hat ein Ziel und aufgeben gilt nicht. Mit voller Kraft voraus. Das bestätigen auch die von Caleb Sherman wuchtig produzierten Songs auf „Raise A Little Hell“ ein ums andere Mal. Hervorheben muss man hier vielleicht die immer wieder auftrumpfenden Slide-Gitarren, die sich furiose Duelle mit dem Banjo liefern, aber auch das muskelbepackte Rhythmusgespann ist wahrlich nicht von schlechten Eltern.  

Es lohnt sich, die 15 Tracks des Albums explizit unter die Lupe zu nehmen. „White Trash“, der Song, der auch unter „White Trash (Country Boy)“ zum veritablen Hit für die Band avancierte – und das nicht nur in Trailer Parks –, ist ein atemberaubendes Gemisch aus Southern Rock und HipHop, das ein wenig an Kid Rock erinnert, mit dem die Band ebenso schon auf Tournee war wie mit Charlie Daniels und REO Speedwagon, um nur die hierzulande bekanntesten zu nennen. „White Trash“ hat die Band übrigens in einer Blockhütte in den Wäldern von Wisconsin aufgenommen. Die meisten anderen Songs entstanden in Brooklyn oder Nashville.

„Deep In The Country“, der Opener des Albums, ist der klingende Beweis, dass man mit feisten Slide-Gitarren und Banjo-Beats auch Country-Rock für Headbanger produzieren kann. Die meist süffisanten Songtexte passen zu dem Outfit der Band, die mit ihrem Hobo-Chic, Western-Style und Trucker-Flair, ganz zu schweigen von den einschlägigen Tattoo-Landschaften, eine krude Mischung bieten. „Family Tree“ (das mit jenem A-cappella-Sound beginnt, mit dem die Coen-Brüder den Folkklassiker „Man Of Constant Sorrow“ zum Kulthit machten) ist eine mit HipHop abgeschmeckte Nummer, die auch die hervorragenden Gesangssätze der Band unter Beweis stellt. Was hat die Band noch so im Gepäck? Treibende Highway-Songs wie „My Backyard“, der auch die Tatsache feiert, dass die Band eigentlich ständig auf Achse war und wahrscheinlich so ziemlich in jedem Bundesstaat der USA schon gespielt hat. „Young Guns“ wartet mit nervös galoppierendem Banjo-Wahnsinn und fetten Morricone-Gitarren auf. „Put Me In The Ground“ steht in der losen Tradition von Funeral-Songs, „Freight Train“ ist eine superbe Hobo-Hymne, zu der man am liebsten gleich auf den Zug springen würde. 

Aber HER & Kings County können auch ganz anders. Das brandaktuelle  „Heavens Crashing Down“ brilliert als elektrifizierende, hoch emotionale Rockballade, die in Mark und Bein geht und deutete an, was von HER in 2015 noch zu erwarten ist. Auch „My Heart Can’t Take Anymore“, ein Duett mit dem Countrysänger Rick Huckaby, das ein wenig an Fleetwod Mac erinnert, steht wie der wunderbare schmachtende Lovesong „Oh, My Darling“ für die gefühlvollere Seite dieser kraftstrotzenden Band, die am Ende des Albums mit dem Südstaatenklopper „Down In Dixie“ und dem Country-Rock’n’Roll „Be My Lover“ noch einmal richtig Gas gibt. Man darf sich schon wundern, dass HER & Kings County, die in diesem Sommer auf einigen Festivals in Europa gespielt haben, hierzulande bislang nur einem kleinen Kreis gestandener Country-Fans ein Begriff sind. Das kann sich jetzt ja schleunigst ändern.

HER, die sich mittlerweile in Nashville niedergelassen und vor kurzem in den USA mit „Gold“ ihr erstes Soloalbum veröffentlicht hat, das im Frühjahr 2015 auch in Deutschland erscheinen soll, muss man gerade in Anbetracht dieser durch und durch hörenswerten Zusammenstellung  „Raise A Little Hell“ einfach live erlebt haben. Mit ihrer Band bringt sie offensichtlich jeden Club zum Überkochen. 

© 2015 India Records

 

 

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