Garland Jeffreys | Biografie | The King

  • Roachford

GARLAND JEFFREYS | The King Of in Between
Es ist in den letzten Jahren recht ruhig geworden um Garland Jeffreys. Das ist bedauerlich, aber dürfte sich dank des neuen Albums „The King of In Between“ nun ändern. Das Gesamtwerk von Garland Jeffreys ist trotz intensiver Schaffensperioden in den 1970ern recht überschaubar, ging es aber bei diesem Musiker doch stets um Qualität statt Quantität. Es gibt ohnehin nicht wenige Kritiker, die Garland Jeffreys für einen der unterbewertesten Musiker der Rockgeschichte halten. Wenn diese New Yorker Musikerlegende nun nach Jahren der künstlerischen Abstinenz endlich wieder von sich reden macht, ist man geneigt, ihnen beizupflichten. „The King of In Between“ ist das erste Studioalbum von Garland Jeffreys seit sage und schreibe 13 Jahren und es ist eine Wucht.
In den USA, wo das Album bereits im letzten Jahr erschien, wurde das Werk des 68-jährigen Grandseigneurs der urban poetry in höchsten Tönen gelobt, gar als sein bestes seit seinem Albumklassiker „Ghost Writer“ aus dem Jahr 1977 bezeichnet. Garland Jeffreys, in Deutschland noch am ehesten für seine Kulthits „Wild In The Street“ (vielfach gecovert und jüngst noch von Jeffreys mit Bruce Springsteen live gespielt) sowie „Matador“ (1980) bekannt, zeigt sich in bestechender Form. „The King of In Between“, Synonym für die Abstammung Jeffreys, einer Mischung aus Afro-Amerikaner, Puerto-Ricaner und Cherokee, aber auch für das beharrliche Unterwandern einer stilistischen Festlegung, präsentiert sich als beeindruckend ausgereiftes Opus.

„Ich denke, dass es schon immer schwierig war, mich einzuordnen“, sagt Jeffreys. „Diese Songs hier sind in den letzten paar Jahren entstanden und erst als das Album fertig war, habe ich bemerkt, dass fast alle Songs von Formen der Entmündigung handeln, vom Gefühl, marginalisiert zu sein. Das ist auch eine Bedeutung des Albumtitels. Es trifft nicht nur auf die Tatsache zu, dass ich gemischtrassig bin, auch wenn das immer ein Teil von mir sein wird, sondern es spielt auch auf all die Menschen in der ganzen Welt an, die sprichwörtlich durch die Maschen fallen.“ Auf „The King of In Between“ schwingt sich Garland Jeffreys aber nicht nur zum Advokaten für die Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft auf – zu seinem immensen sozialen Engagement später mehr – sondern verblüfft ein ums andere Mal mit einer stilistischen Vielseitigkeit, die sich wahrlich nicht viele andere Künstler zutrauen – wohl aus Angst, sich zwischen alle Stühle zu setzen.
Den roten Faden bilden auf „The King of In Between“ Jeffreys typisch aufgekratzter Falsettgesang und die Dringlichkeit, mit der er seine bissig-gesellschaftsrelevanten Songtexte zum Besten gibt. So geht er in dem Opener „Coney Island Winter“ mit den Politikern, „die ihm den Allerwertesten küssen können“, harsch ins Gericht: „say they're going to fix this town / jobs are gone, they came and went / all the money has been spent / all the games are broken down“. Die USA nach der internationalen Finanzkrise („All Around The World“) sind hier ebenso Thema wie die eigene Sterblichkeit („In God's Waiting Room“) – fast also schon ein Album wie ein kleines Vermächtnis.    

Jeffreys lebt auf „King of In Between“ klar und luzide, souverän und selbstbewusst seine unterschiedlichsten musikalischen Vorlieben voll und ganz aus. Von Reggae („All Around The World“ nahm er mit Junior Marvin von den Wailers auf!) über Blues („'Til John Lee Hooker Calls Me“) und Ska („She's A Killer“) bis hin zu entfesselten Rocksongs („I'm Alive“) und cineastisch anmutendem Philly-Sound à la Curtis Mayfield („Streetwise“). Mal meint man, Bob Dylan habe Pate gestanden („Love Is Not A Cliché“), mal fühlt man sich an Elvis Costello erinnert („The Beautiful Truth“), mal wird er von seinem alten Freund Lou Reed unterstützt ,
(„The Contortionist“ versprüht gleichwohl den Charme eines Stones-Evergreen), mit dem er in jungen Jahren Kunst studierte – doch jeder Song für sich, co-produziert von Larry Campbell und abgemischt von Roy Cicala (Lennon, Springsteen), Koryphäe des legendären Record Plant Studios, ist von packender Eindringlichkeit. Große Songkunst, durchzogen von feiner, fast schon weiser Gesellschaftskritik.  

Das National Public Radio nahm „Coney Island Winter“, die Single, die Jeffreys mit Bravour in der Letterman Show präsentierte, in die Bestenliste des Jahres 2011 auf und bezeichnete das Stück als den besten Song von Bruce Springsteen, den dieser nicht geschrieben habe. Mit nicht minderer Berechtigung lässt sich der Song auch auf die stoische Gravur eines Velvet-Underground-Songs zurückführen. Wie auch immer, Garland Jeffreys zeigt hier einmal mehr seine zeitlose Klasse.  

Das Video zu „Coney Island Winter“ ist ein in wunderbaren Schwarzweiß-Bildern gehaltenes Panoptikum einer vergangenen Zeit, eine Liebeserklärung an einen Stadtteil, der eng mit Jeffreys Autobiographie verbunden ist und dessen Niedergang hier zur Metapher für ein ganzes Land wird. Garland Jeffreys ist und bleibt ein Ausnahmefall der Rockgeschichte, ein sich selten zeigendes Chamäleon mit Charisma.

Garland Jeffreys stammt aus einfachen Verhältnissen und studierte in jungen Jahren Kunst in New York und Italien. Nach ersten Banderfahrungen in den 1960ern nahm er in den 1970ern seine ersten Soloalben auf, „Garland Jeffreys“ (1973), „Ghost Writer (1977), „One Eyed Jack“ (1978) und „American Boy & Girl“ (1979). 1980 erschien mit „Escape Artist“ ein sehr rock'n'roll-orientiertes Album, das mit „R.O.C.K.“ und der Coverversion von „96 Tears“ auch kleine Radiohits hervorbrachte. Nach dem Album „Guts For Love“ (1983) folgte erst einmal eine mehrjährige Pause. 1992 überraschte er mit dem politisch engagierten Comebackalbum „Don't Call Me Buckwheat“, das mit „Hail Hail Rock'n'Roll“ einen denkbar modernen Hit abwarf, dessen forsche Produktion ein wenig an Massive Attack erinnerte. Sein letztes Studioalbum, „Wildlife Dictionary“ (1997), wurde nur in Europa veröffentlicht. Nicht unerwähnt bleiben dürfen zudem all die Studioarbeiten und gemeinsamen Konzerte mit anderen Musikern, darunter so unterschiedliche Künstler wie Stan Getz und Dr. John, James Taylor und Sonny Rollins, Linton Kwesi Johnson und Phoebe Snow, John Cale und Sly & Robbie. Ein „musician's musician“ wie er im Buche steht.
 
Die lange Auszeit vom kreativen Schaffen hat in erster Linie einen sehr persönlichen Hintergrund. Jeffreys verbrachte vor allem viel Zeit mit seiner Tochter und deren Erziehung. „Mit ihr durch den Stuyvesant Park zu spazieren, sie jeden Morgen zur Vorschule zu bringen, mit ihr aus vollem Hals zu singen, all das hat mir meine Zeit sehr wertvoll gemacht. Ich wollte einfach für sie da sein.“ In den letzten Jahren ist er aber auch immer wieder auf Tournee gegangen, mal mit einer seiner beiden Bands, mal mit seinem langjährigen Kompagnon Alan Freedman als akustisch konnotiertes Duo. „Ich genieße die Konzerte heutzutage viel mehr und liebe es mich nach den Shows mit Konzertbesuchern zu unterhalten.“ Jeffreys hat sich in den letzten Jahren zudem immer wieder bei verschiedenen Benefiz-Veranstaltungen hervorgetan, sei es bei den Light of Day Konzerten in New York (bei denen Gelder für die Parkinson-Forschung gesammelt werden), sei es bei den Solidays, einem Festival der Aidshilfe in Paris. Bei den Rock for Haiti Konzerten hat er sich für Ärzte ohne Grenzen eingesetzt, für die medizinische Unterstützung von Kollegen wie Alejandro Escovedo und dem mittlerweile verstorbenen Arthur Lee hat er ebenso Konzerte gegeben wie zuletzt bei der Irish Rock Revue, bei der Spenden für die Bowery Mission gesammelt wurden, um New Yorker Krankenhäuser mit neuem Equipment auszustatten. Last but not least, geht Garland Jeffreys auch an Schulen, um dort unter den ethnisch verschiedenen Schülern für mehr Toleranz zu werben.

Garland Jeffreys kann also in vielerlei Hinsicht stolz auf sich sein. Als fürsorglicher Vater hat er seine Karriere jahrelang hintenan gestellt (Tochter Savannah hat übrigens nicht nur einen Gastauftritt als Backgroundsängerin neben Lou Reed in „The Contortionist“, sondern präsentiert sich auch als vielversprechendes musikalisches Jungtalent im Internet, wo auf sie auf youtube einige ihrer eigenen Songs präsentiert), dafür hat er seine Vitalität, seinen zwingenden poetischen Drive optimal für „The King of In Between“ konserviert und für sein neues Album bestmöglich kultiviert. „Ich bin an einem wunderbaren Punkt, ich könnte kaum glücklicher sein als mit diesem Album“, strahlt Garland Jeffreys. „In diesem Album steckt viel Liebe und es kommt mir selbst einfach sehr nahe. Es reflektiert im Grunde genommen alles wofür ich stehe.“ Es ist einfach ein gutes Gefühl, dass es heute noch immer solche unbeugsamen musikalischen Überzeugungstäter gibt. Dass der Mann, der in jungen Jahren die Kunst der Renaissance in Florenz studiert hat, demnächst auch wieder in Europa seine eigene Renaissance als Allroundmusiker der Extraklasse  feiern wird, ist ausgemachte Sache.

Ab Ende Mai wird er erstmals seit Jahren auch wieder live auf deutschen Bühnen zu sehen sein.    

 

 

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